1. Onko-Talk in Köln (31.3.2025) – Nachbericht

Warum ist Krebsforschung für Patienten wichtig?

Die beiden größten Onkologischen Zentren in Nordrhein-Westfalen, das Centrum für Integrierte Onkologie der Uniklinik Köln (CIO Köln) und das Westdeutsche Tumorzentrum der Universitätsmedizin Essen (WTZ Essen) hatten am 31. März 2025 gemeinsam mit dem Ministerium für Kultur und Wissenschaft des Landes Nordrhein-Westfalen zum ersten „Onko-Talk NRW“ eingeladen. Circa 160 Patientinnen und Patienten, Angehörige sowie Vertreter von Selbsthilfegruppen, Krankenkassen und Pharmaunternehmen sind der Einladung ins CIO gefolgt und diskutierten angeregt über Chancen und Hindernisse im Zusammenhang mit Klinischen Studien, die Sinnhaftigkeit von 60seitigen Aufklärungsunterlagen und wie ein Patient es schafft, an einer Klinischen Studie teilzunehmen. Auch konnten die Teilnehmenden Prof. Michael Hallek, Direktor des CIO Köln und der Klinik 1 für Innere Medizin in der für ihn sonst ungewöhnlichen Rolle des Moderators erleben.

Zur Begrüßung sagte Prof. Edgar Schömig, Ärztlicher Direktor der Uniklinik Köln: „Der Kampf gegen den Krebs stellt sich einerseits als individuelles Schicksal dar. Er ist aber auch eine gesamtgesellschaftliche Herausforderung, die ohne Unterstützung durch die Politik, nicht zu bewältigen ist.“

Nach einem Video-Grußwort von NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst betonte die nordrhein-westfälische Wissenschaftsministerin Ina Brandes MdLin ihrer Keynote, dass Forschung an sich wertvoll ist und immer den Nutzen für Patientinnen und Patienten im Blick haben sollte. Besonders wichtig sei, Wissenschaft verständlich zu machen, damit Vertrauen entstehen könne.

Beim ersten „Onko-Talk NRW“ hob die Ministerin hevor, dass sich für sie Wissenschaft – und damit auch die Krebsforschung – immer lohne. Sie müsse auch keine betriebswirtschaftlichen Ziele erfüllen. „Wissenschaft ist frei und soll frei bleiben, dies ist auch im Grundgesetz zu Recht fest verankert.“

Gleichzeitig sei es wichtig, dass Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sich die Frage nach dem Nutzen ihrer Arbeit immer wieder stellten: „Ich bin sehr froh, dass die Forscherinnen und Forschern das Patientenwohl so im Fokus haben.“

Eine zentrale Aufgabe sei der Austausch von Wissenschaft und Bevölkerung – den zum Beispiel der „Onko-Talk“ ermögliche. Der Gesprächsbedarf sei hoch und werde angesichts rasanter wissenschaftlicher Entwicklungen – etwas durch den Einsatz von Künstlicher Intelligenz – sogar noch zunehmen. Ministerin Brandes: „Bei allem Optimismus, dass technologische Entwicklungen das Leben der Menschen leichter und angenehmer machen wird, gehen solche einschneidenden Umbrüche jedoch zu Recht immer mit Skepsis und Vorbehalten einher. Deshalb ist es eine so wichtige Aufgabe für uns dafür zu sorgen, dass wir die Entwicklung ethisch vernünftig begleiten. Der ständige Austausch zwischen Forschung, Wirtschaft und Gesellschaft ist dafür unerlässlich. Nur so wird es uns gelingen, dauerhaft eine hohe Akzeptanz zu erreichen.”

Künstliche Intelligenz, die auch für medizinische Zwecke genutzt werde, müsse selbst entwickelt und betrieben werden. „Wir brauchen technologische Souveränität in diesem Bereich.“ 

Insgesamt sieht die Ministerin die nordrhein-westfälische Krebsforschung auf einem sehr guten Weg: „Wir sind in der Krebsforschung auf Weltniveau unterwegs. Die Forschungsleistung, die hier erbracht wird, ist wichtig für die Patientinnen und Patienten, für ihre schnelle Genesung und ihre gute Unterstützung.“ Auch in Zeiten knapper Haushalte tue das Land viel für die Krebsforschung – und das sehr gerne. „Es ist ein extrem wichtiges Thema und es ist ein Bereich, in dem wir sehr erfolgreiche und anerkannte Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler haben.“

Die Patientenperspektive zum Thema Nutzen von Krebsforschung wurde von Johannes Förner in seiner Keynote eingebracht. Er stellte zu Beginn die Cliffhanger-Frage: Was hat denn jemand, der aus Bayern kommt, mit Spitzenkrebsforschung aus NRW zu tun?

Bis Mai 2020 führte Johannes Förner ein relativ unbeschwertes Leben mit einer Karriere in internationalen Konzernen. Dann bekam er die Diagnose, die sowohl sein Leben als auch das Leben seiner Familie und Freunde erschüttert hat: Blutkrebs! „Höchst-Risikopatient“! Perspektive: Falls ihm genügend Zeit bliebe, gäbe es vielleicht die Chance auf eine lebensrettende Behandlung.

Er schilderte seinen (Irr-)Weg durch das Labyrinth des Internets, den vermutlich jeder Patient geht, der eine Krebsdiagnose erhält. Sein Eindruck: „Im Internet gibt es viele Informationen, die absoluter Unfug sind und hochgradig irreführend. Es gibt aber auch jede Menge Informationen, die sehr wertvoll sind, aber niemand kuratiert sie.“ Sein Tipp: Die Webseite des Krebsinformationsdienstes. Dort hat er auch viel über Klinische Studien gelernt und nach einigen Recherchen und Gesprächen hätte er es auch fast schnell in eine geschafft, sogar eine, die speziell auf ihn als „Höchst-Risikopatient“ zugeschnitten war. Aber regulatorische Prozesse haben den Start der Studie immer wieder hinausgezögert. Im Juni 2022 war es dann endlich so weit und bereits nach fünf Monaten war der Krebs im Blut nicht mehr nachweisbar. Heute ist er guter Dinge, dass er noch ein paar Jahre habe …

Und so schliesst er den Kreis zur Spitzenforschung in NRW: Johannes Förner hat als in München lebender Patienten von Spitzenkrebsforschung aus Nordrhein-Westfalen profitiert, denn die Studiengruppe, an deren Studie er teilgenommen hat, hat ihren Sitz an der Uniklinik Köln.

Aber neben aller Freude und Dankbarkeit über die erfolgreiche Behandlung sieht er auch Verbesserungsmöglichkeiten – unter anderem beim Thema Aufklärungsunterlagen. Diese seien bei seiner Studie rund 60 Seiten stark und ziemlich unverständlich gewesen – dazu noch Datenschutzformulare. Seine klare Meinung: „Das ist für Patienten nicht zumutbar.“ Patienten in seiner Situation läsen das nicht durch und selbst wenn, würden sie fast nichts verstehen oder sie würden vieles davon nicht unterschreiben wollen. Aber ihr Wunsch nach Behandlung lässt sie am Ende doch unterschreiben. Deshalb sein Appell: Die Aufklärungsunterlagen bei Klinischen Studien müssen kürzer und besser verständlich werden.

Zuversichtlich mache ihn in diesem Punkt die Arbeit des jüngst erweiterten Nationalen Centrums für Tumorforschung – kurz NCT – zu dem seit 2023 auch Essen und Köln als neues NCT West gehört. Hier beobachtet er als Mitglied des Pateintenforschugnsrates eine gute und frühzeitige Involvierung von Patienten. Er ist überzeugt, dass mit diesem Konzept auch die Rekrutierungszahlen für die Klinischen Studien steigen werden, also mehr Patientinnen und Patienten in Studien eingeschlossen werden als heute.

Sein zweiter Appell richtet sich an die Politik und dreht sich um die Dauer von der Idee bis zum Start einer Studie: Deutschland sei hier mit ungefähr drei Jahren sehr langsam, in Spanien und Dänemark ginge das wesentlich schneller. Er wünscht sich hier einen Schulterschluss von Politik, Wissenschaft und Patienten, um vor allem das Thema Datenschutz zu vereinfachen. Er habe den Eindruck, dass viel über Datenschutz geredet wird, aber eigentlich Datensicherheit gemeint sei. Das sei aber ein anderes Thema und müsse auch von anderen Verantwortlichen gelöst werden.

Die Talkrunde eröffnete dann Renate Pfeifer, die als erfahrene Patientenvertreterin in vielen verschiedenen Ämtern tätig ist. Aktuell ist sie unter anderem als Sprecherin des CIO-Patientenboards und im Patientenbeirat der Deutschen Krebshilfe aktiv. Sie unterstreicht alles, was von Johannes Förner zum Thema Aufklärungsunterlagen, Datenschutz und Dauer von Studieninitiierungen gesagt wurde. Und sie verweist darauf, dass es in NRW besonders viele Patientinnen und Patienten gibt, deren Stimmen künftig mehr Gewicht in der Politik bekommen sollten. Sie sieht ihre Rolle auch darin, die Politik kritisch zu begleiten: Was wird zugesagt, was wird davon umgesetzt und wann?

Prof. Martin Schuler, stellvertretender Direktor des Westdeutschen Tumorzentrums (WTZ) an der Uniklinik Essen zu der Frage, wo die NRW-Forschung stehe: „In der Medizin vergleichen wir uns ja nicht mit anderen Bundesländern, sondern – aufgrund der Einwohnerzahl – eher mit anderen europäischen Ländern“.  NRW sieht er hier gut positioniert aufgrund der Tatsache,  dass hier sechs – miteinander gut zusammen arbeitende – Unikliniken und viele andere Hochschuleinrichtungen zuhause sind. Wenn man deren Wissen in einem datenzentrierten Netzwerk mit eignenen Servern zusammenbringe, dann gäbe es eine gute Chance, gemeinsam auch ein Treiber für datenbasierte Forschung in Deutschland zu werden.

Zum Thema elektronische Patientenakte regte ein Teilnehmer aus dem Publikum an, dort künftig auch die Freigabe für die Nutzung der Daten für die wissenschaftliche Forschung erteilen zu lassen. Renate Pfeifer findet auch, dass man viel mehr Bewusstsein dafür schaffen müsse, dass diese Daten auch für die Forschung ein großer Gewinn sein können. Prof. Schuler sieht trotz der Möglichkeiten eine Problematik in der Unterschiedlichkeit der verwendeten Datenformate, die durch die Vielzahl an Anbietern entstehe. Wenn das nicht vereinheitlicht werde, seien die Daten für die Forschung kaum nutzbar. Ministerin Ina Brandes bedauerte, dass in Deutschland die Gesundheits- und Wissenschaftsministerien weitgehend getrennt arbeiten, so dass der Aspekt der wissenschaftlichen Nutzung von Patientendaten bei der Entwicklung der E-Akte gar nicht im Fokus war.

Wie steht es um die Entwicklung eines mRNA-Impfstoffes gegen Krebs, fragte sich ein Teilnehmer. Durch Corona ist die mRNA-Technologie sehr bekannt geworden und auch, dass an einem Impfstoff gegen Krebs auf mRNA-Basis geforscht wird. Prof. Schuler klärte darüber auf, dass es sich hier um so genannte Medikamentenstudien handelt, die überwiegend von Pharmaunternehmen durchgeführt werden. Sowohl die Uniklinik Essen als auch die Uniklinik Köln sind Partner bei diesen Studien und daher an dieser Entwicklung beteiligt.

Aber wie kommt man als Patient überhaupt in eine Klinische Studie, fragte eine Patientin. Hier waren sich Patientenvertreterin Renate Pfeifer und Prof. Schuler einig: Lassen Sie sich in einem Onkologischen Zentrum behandeln. Hier gibt es Zugang zu Klinischen Studien und es sei mittlerweile auch klar belegt, dass Patienten in einem zertifizierten Krebszentrum länger leben. In Nordrhein-Westfalen – mit seiner großen Dichte an universitären Kliniken – ist dies besonders gut umsetzbar. Aber auch in ländlichen Gegenden sei durch eine immer besser werdende Vernetzung heute viel mehr möglich.

Das dominanteste Thema des Abends aber war Datenschutz und Datensicherheit. Alle waren sich einig darüber, dass hier dringend Handlungsbedarf bestehe. Das NCT habe dieses Thema ebenfalls im Fokus und auch deshalb bestehe die berechtigte Hoffnung auf Besserung. Eine Anregung aus dem Publikum: Alle Kliniken schließen sich zum Thema Datensicherheit zumindest NRWweit zusammen und kooperieren gemeinsam mit IT-Dienstleistern, um eine effiziente Daten-Infrastruktur aufzubauen, die dann alle individuell für ihre Forschung nutzen können.

Die Fragen aus dem Publikum waren vielfältig und drehten sich auch um den Wunsch nach einem besseren Austausch mit den Nachbarländern oder die Beobachtung, dass sich Wissenschaftler in den USA aktuell zunehmend unwohler fühlten und dies eine Chance für Nordrhein-Westalen sein könnte-.